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Bandwürmer und Jugendschutzbehörden

Alle Schriftsätze von Jugendschutzbehörden leiden unter mangelnder Verständlichkeit. Insbesondere Landesmedienanstalten errichten aus Textbausteinen labyrinthische Kompliziertheiten ersten Rangs. Beispielsweise wird jede Anhörung und jeder Bescheid mit folgenden oder sehr ähnlichen Bandwurmsätzen eingeleitet:

Sehr geehrte/r Frau/Herr,

gemäß §§ 14 Abs. 1, 20 Abs. 1, 6 des Staatsvertrags über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) vom 10./27. September 2002, in der ab 1. April 2013 gültigen Fassung des 13. RStV-Änderungsstaatsvertrags, ist die Landesmedienanstalt zuständig für die Aufsicht über die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen des JMStV. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben wurde die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) gebildet, die im Einzelfall als Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt tätig wird (vgl. § 14 Abs. 2 JMStV). Die KJM ist zuständig für die abschließende Beurteilung von Telemedien. Gemäß § 18 JMStV unterstützt Jugendschutz.net, die durch die obersten Landesjugendbehörden eingerichtete Stelle Jugendschutz aller Länder, die KJM bei deren Aufgaben…

 

Hoert, hoert!

Der von mir hochgeschätzte Prof. Hoeren hat sein aktualisiertes Skriptum Internetrecht veröffentlicht. Aber ausgerechnet im Jugendschutzrecht (S.530f.), zu dem er sich vor einem Jahr noch abfällig äußerte – „man wird den Verdacht nicht los, daß hier Legastheniker am Werke waren, die erst nach mehrfachen Anläufen ihr Jurastudium an irgendeiner C-Universität zu Ende gebracht haben“ -, sind in drei Absätzen drei Fehler enthalten:

  • Zunächst wird § 184c StGB zitiert, der vor drei Jahren mit Neuregelung der Jugendpornografie zu § 184d StGB geworden ist.
  • Dann wird behauptet, dass ein Altersverifikationssystem „der Zulassung durch die als Aufsichtsbehörde für sämtliche Anforderungen nach dem JMStV eingerichteten Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) bedarf.“ Nein, nur Jugendschutzprogramme bedürfen der Anerkennung. Andere Systeme nicht.
  • Schließlich wird der Eindruck erweckt, dass Altersverifikationssysteme „eine einmalige persönliche Identifizierung der Nutzer“ durchführen müssen. Als Beleg wird das ueber18.de-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2007 zitiert. Jedoch erlaubt dieses Urteil ausdrücklich eine „rein technische Altersverifikation“, die mit einem „entsprechend zuverlässig gestalteten Webcam-Check“ erfolgt.

Programmbeschwerde.de

Bei Landesmedienanstalten handelt es sich um fragwürdige Behörden. Die vierzehn Oberwachtmeister sind stets und vor allem damit beschäftigt zu beweisen, dass man sie braucht. Als Messinstrumente der eigenen Wichtigkeit dienen Medienkompetenzprojekte und Bürgerbeschwerden. Letztere werden häufig nur nach Quantität, aber nicht nach Qualität beurteilt. So lautete beispielsweise die Überschrift zum jüngsten Tätigkeitsbericht der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten:

„Rundfunk-Beschwerden verfünffacht.“
(Pressemitteilung vom 27. Juli 2011)

Um die Empörungen der einfachen Fernsehzuschauer zu kanalisieren, richtete die saarländische LMS im Jahr 2004 die Meckerecke Programmbeschwerde.de ein, unter eifersüchtiger Beobachtung der anderen Landesmedienanstalten. Allerdings meldeten die meisten Petenten statt Verstößen gegen die Mediengesetze solche gegen ihre Geschmacksgrenzen. Beispielsweise Roger M. aus Mindeln über „Big Brother“:

Ich finde, es ist eine Frechheit, wie Ruth ihre Riesenoberweite im Fernsehen präsentiert. Obwohl das sehr anregend für mich ist, gehört so ein toller großer Busen aber nicht ins TV.

Seit gestern können sich die Medienaufseher vor Programmbeschwerden nun nicht mehr retten. RTL Explosiv hatte sich über Besucher der Spielemesse Games Convention lustig gemacht und berichtet: „Irgendwann in seinem Leben steht jeder pubertierende Junge vor der Frage: Kaufe ich von meinem Taschengeld einen Rasierapparat oder doch lieber ein Computerspiel? Wenn man sich da falsch entscheidet, landet man hier.“ Auch hätten Gamer große Probleme eine Frau zu finden und tragen immer eine Waffen-Attrappe mit sich herum. Daraufhin explodierte Giga und rief zum Protest auf. Dieser gipfelte in über 6.800 Beschwerden gegen RTL und einem verzweifelten Hilferuf der LMS, nachdem die Website zusammenbrach:

Damit dürfte die Überschrift für den nächsten Tätigkeitsbericht feststehen: „Anzahl der Rundfunk-Beschwerden erneut explodiert.“ Im Übrigen ist Programmbeschwerde.de kein gutes Beispiel für die Medienkompetenz der Landesmedienanstalten, denn die Website war in ihren ersten Jahren offen wie ein Scheunentor und eine datenschutzrechtliche Katastrophe. Jede eingegangene Beschwerde war frei abrufbar, zusammen mit Name, Adresse und Telefonnummer des Beschwerenden. Die LMS wollte sich mit einer Hackerattacke rausreden, geglaubt hat es niemand.

Nachtrag: Mit Pressemitteilung vom 26. August 2011 erklärte die Niedersächsische Landesmedienanstalt, dass der RTL-Bericht über die Gamescom nicht gegen das Medienrecht verstößt.

Zweiter Nachtrag: Die saarländische Landesmedienanstalt teilte am 29. August 2011 mit, dass es über 11.500 Programmbeschwerden gab, die nicht einzeln beantwortet werden könnten.